Henrica Kösters aus Gronau hatte schon länger Angst vor ihrem unangenehmen Nachbarn. Der wollte sie unbedingt davon abhalten, auf ihre alten Tage noch zu heiraten. Dann lag Kösters an einem Morgen im Oktober 1856 plötzlich tot im Bett.
Theodor Tümmers war für allerlei Schandtaten zu haben. Aber ein Trinker, das war er gewiss nicht. Am Vormittag des 13. Oktobers 1856 hatte er noch gearbeitet. Am Nachmittag dieses Montages standen Vergnügungen auf dem Plan. Schließlich war nur einmal im Jahr Kirmes in Gronau. Zusammen mit seiner Frau schlenderte Tümmers über den Jahrmarkt und traf dabei etliche Bekannte und Verwandte. Da gab es dann die ersten Schnäpse.
Im Wirtshaus Seppinghof begegnete er am Abend Ludwig Steinacker. Den kannte er noch, weil er einmal für ihn gearbeitet hatte. Die beiden Männer tranken zusammen ein halbes Dutzend Schnäpse, zogen weiter zum Wirt Gerhard Rensing, tranken weitere Schnäpse, verließen dann auch Rensings Schenke. Erst torkelten die Männer die Enscheder Chaussee entlang, dann wieder zurück in Richtung Gronau. Kurz vor seinem Haus fing Steinacker mal wieder an zu erzählen, von den Problemen mit seiner Nachbarin, dem „krummen Luder“.

Nach über 50 Jahre als Jungfrau will die Nachbarin heiraten
Zu dieser Zeit war Gronau noch eine beschauliche Kleinstadt mit etwas mehr als 1.000 Seelen. Wie die gesamte Region war der Ort vor allem ländlich geprägt. Aber auch das Textilgewerbe spielte in der Grenzstadt schon in vorindustrieller Zeit eine wichtige Rolle. In mehreren kleinen Textilmanufakturen wurde gesponnen und gewebt. Wie überall hatten aber auch hier die handwerklichen Kleinbetriebe der fortschreitenden industriellen Konkurrenz nichts entgegenzusetzen und waren bis 1850 aus Gronau vollständig verschwunden. Mit der Errichtung der ersten mechanischen Fabrik durch Mattheus van Delden im Jahr 1854 brachen neue Zeiten an, in denen sich innerhalb weniger Jahre der kleine Flecken Gronau zu einer bedeutenden Industriestadt entwickelte.
Henrica Kösters lebte im Jahre 1856 noch in den alten Zeiten und hatte vermutliche nicht die geringste Vorahnung von den Umbrüchen, die sich anbahnten. Weil sie ein kleines Haus und einige Ländereien ihr Eigen nannte, kam sie einigermaßen über die Runden. Die harte Arbeit forderte allerdings ihren Tribut. Ihr verdankte sie ihr offensichtliches Rückenproblem, das ihr einen Buckel beschert hatte. Aber für den Fall, dass es irgendwann nicht mehr gehen sollte, hatte sie vorgesorgt und Geld zur Seite gelegt.
Henrica Kösters wurde am 26.05.1805 in Gronau geboren. Sie war das einzige Kind des Spinnmeisters Lambert Cösters und seiner Frau Elisabeth Pförtners.
Ludwig Heinrich Steinacker wurde am 10.11 1811 in Gronau geboren. In zweiter Ehe heiratete er am 26.08.1848 Henrica Pförtners. Das Paar hatte fünf gemeinsame Kinder.
Henrica Kösters und Henrica Pförtners waren Cousinen.
Auf ihre Mitmenschen mag sie manchmal etwas seltsam gewirkt haben, denn sie hatte sich über all die Jahre die Männer vom Hals gehalten und sich ihr selbstbestimmtes Leben bewahrt. Den einzigen Mann, den sie in ihre Nähe ließ, war ihr Kostgänger, den Arbeiter Jan Wedding, der bei ihr wohnte. Umso erstaunter waren die Gronauer, als sich das Gerücht verbreitete, dass Kösters trotz ihres Alters noch Heiratsabsichten hegte. Und tatsächlich, Anfang Oktober 1856 gab sie ihre Verlobung mit einem gewissen Lembeck bekannt, mit dem sie sich fortan öffentlich zeigte und wofür das Paar von vielen Seiten Glückwünsche entgegennahm.
Bedrohliche Begegnungen vor dem eigenen Haus
Nicht zu den Gratulanten gehörte allerdings Ludwig Heinrich Steinacker. Der Gronauer Zimmermann war nicht nur direkter Nachbar der Kösters, sondern auch der Witwer der verstorbenen Henrica Pförtners, einer Cousine von Kösters. Weil Kösters keine näheren lebenden Verwandte hatte, wären die Kinder von Steinacker im Falle ihres Todes ihre gesetzlichen Erben. Dass ihre angetraute Cousine sich nun in den Kopf gesetzt hatte, auf ihre alten Tage noch zu heiraten, war ihm alles andere als recht. Aus seiner Meinung machte er kein Geheimnis und erzählte mehreren Leuten offen, was er davon hielt. Doch es blieb nicht nur bei missbilligenden Worten, sondern er bedrängte und bedrohte die Kösters sogar offen, um die Frau von ihren Absichten abzubringen. Für Kösters war diese Situation belastend und vor ihrem Haus wich sie Steinacker so gut es ging aus.
Am Montagabend, den 13. Oktobers 1856, war ihr Bräutigam Lembeck zu Besuch und alles drehte sich schon um die anstehende Hochzeit. Die beiden verbrachten einen unbeschwerten Abend miteinander, bis Lembeck sich verabschiedete. Ihm war nicht entgangen, dass seine Auserwählte sich vor ihrem unangenehmen Nachbarn fürchtete. Sie aber meinte, dass sie in ihren eigenen vier Wänden sicher sei. Außerdem wohnte noch ihre Kostgänger Wedding unter ihrem Dach, wenn auch auf einer Hille zwischen Küche und Deele. So wurde es Nacht im Hause der Kösters.
Warum Henrica Kösters morgens im Bett blieb
Am nächsten Morgen stand Wedding gegen 6 Uhr auf und machte sich bereit für seine Arbeit. Seine Wirtin schlief offenbar noch in ihrem Kastenbett, das sich in der Küche befand. Deshalb schlich er sich leise aus dem Haus, um sein Tagwerk zu beginnen. Etwa eine Stunde später kehrte er ins Haus zurück. Die Kösters sollte inzwischen auch aufgestanden sein. Als sich in der Küche aber immer noch nichts rührte, trat er an ihr Bett, sprach sie an, erhielt aber keine Antwort. Sie lag nur regungslos in ihren Kissen. Wedding war das alles nicht geheuer und hielt es für besser, die Nachbarn dazuzuholen. Einer von ihnen war der Wundarzt Frederik Carl Willem Costers, ein entfernter Verwandter der Frau. Als er an das Bett trat und die Kösters leblos dort liegen sah, konnte er nur noch ihren Tod feststellen. Alles sah so friedlich aus, die Kleider lagen ordentlich neben dem Bett – vermutlich war Kösters an einem Schlaganfall gestorben.
Die Nachbarn machten dann das, was gemacht werden musste. Der Pastor wurde verständigt und es wurden die ersten Vorbereitungen getroffen, um die Leiche aufzubahren. Nach einiger Zeit nahm der Costers die Tote noch einmal in Augenschein. Irgendwas bewog ihn, noch einmal näher hinzusehen, vielleicht war ihm ja in der dämmrigen Bettnische etwas entgangen. Und tatsächlich, am Hals der Leiche waren blaue Flecken zu sehen. Irgendwer hatte hier sprichwörtlich Hand angelegt.
Der Arzt veranlasste sofort, die Leiche und das Bett nicht mehr anzurühren, und verständigte die Polizei. Diese war kurze Zeit später zur Stelle und begann mit der Spurensicherung. Die gerichtlich veranlasste Obduktion der Leiche ergab, dass Kösters an einem Gehirnschlag verstorben war, hervorgerufen durch das gewaltsame Zusammendrücken ihrer Halsvenen.
Ein grausamer Verdacht macht die Runde
Die Untersuchung des Hauses ergab keinerlei Hinweise, dass Wertgegenstände fehlten. Weil nichts auf räuberische Absichten hindeutete, mussten andere Mordmotive vorliegen. Sehr rasch geriet Steinacker ins Visier der Ermittler. Er hatte nicht nur ein Motiv, sondern gab sich darüber hinaus auch noch außergewöhnlich gleichgültig, während die Gemütslage der anderen Nachbarn von Bestürzung, Trauer und Entsetzen gekennzeichnet war. Als die Ermittler davon erfuhren, dass die Tote vorher mehrmals von ihn bedroht wurde, reichte es ihnen. Schon am nächsten Tag wurde Steinacker verhaftet.
Es waren nicht wenige Menschen in der Nachbarschaft, die Steinacker diese Tat zutrauten. Bei seiner Vernehmung stritt er allerdings vehement ab, irgendwas mit dem Tod der Kösters zu tun zu haben. So wurden die Ermittlungen auf das soziale Umfeld des Zimmermanns ausgeweitet. Am Abend des 13. Oktobers war Steinacker in mehreren Wirtshäusern gesehen worden, wo er reichlich Schnaps zu sich genommen hatte. Einige Zechkumpanen konnten ausfindig gemacht und vernommen werden, jedoch ohne, dass sich neue Verdachtsmomente ergaben. Steinacker blieb dabei, er hätte nichts mit dem Mord zu tun.
„Das Gewissen eines ziemlich verkommenen Menschen“
Am Freitag, den 17. Oktober 1856, passierte in Gronau Merkwürdiges. Ein Mann stand am Ufer der Dinkel. An dieser Stelle war der kleine Fluss für den Antrieb der Mühle aufgestaut. Der Mann wirkte unruhig, etwas hilflos und zitterte am ganzen Körper. Dann sprang er ins Wasser, versank in den Fluten und tauchte kurz darauf wieder auf. Der Mann begann wild zu strampeln, suchte Halt und konnte sich schließlich ans Ufer retten. Er stieg die Böschung hinauf, ging auf die Straße und schlurfte mit seinen triefendnassen Kleidern in das nahegelegene Wirtshaus des Gerhard Rensing. Dort trat er dann vor dem Wirt, immer noch am ganzen Körper zitternd, und bekannte, dass er die Kösters umgebracht hätte.

Bei dem Mann handelte es sich um den 50-jährigen Theodor Jacob Tümmers. Im Alter von 28 Jahren war Tümmers von Emsbüren nach Gronau gezogen, wo er die dort geborene Anna Blömers geheiratet hatte. Er wurde zwar katholisch getauft, konvertierte aber ein Jahr nach seiner Heirat zum evangelischen Glauben. Tümmers war in Gronau kein unbeschriebenes Blatt. Wegen einer Schlägerei saß er bereits 6 Monate im Gefängnis und aufgrund mehrfachen Diebstahls war er schon mehrmals zu Peitschenhieben verurteilt worden. Äußerlich muss er seinen Mitmenschen ungepflegt und ziemlich verkommen erschienen sein.
Aber selbst einem Gauner dieses Schlages wohnte offenbar noch ein Gewissen inne. Nachdem er zunächst den Entschluss gefasst hatte, seinem Leben selbst ein Ende zu setzten, überwog offenbar die Angst um das eigene Seelenheil, so dass er sich schließlich seiner Verantwortung stellte. Nachdem die herbeigerufene Polizei Tümmers verhaftet hatte, legte er sofort ein umfassendes Geständnis ab. Zugleich belastete er Steinacker schwer mit seiner Aussage, dass er von diesem zu dieser Tat verleitet worden sei.
- Theodor Jacob Tümmers wurde am 19.01.1806 in Emsbüren geboren
- Seine Eltern waren die Eheleute Johann Bernhard Tömmers und Maria Möllers.
- Am 07.12.1834 heiratete er in Gronau die dort geborene Anna Blömers
- Theodor Tümmers und Anna Blömers hatten vier Kinder
50 Taler für ein Menschenleben
Es sollte noch bis zum 21.04.1857 dauern, ehe es vor dem Schwurgericht in Münster zur Verhandlung gegen Tümmers und Steinacker kam. Bei seiner Vernehmung machte Tümmers dann reinen Tisch. Er schilderte, wie er am Nachmittag des 13.10.1856 Steinacker auf der Gronauer Kirmes getroffen hatte. Nach einer ausgiebigen Zecherei hätten die beiden gegen Abend das Wirtshaus Rensing verlassen. Beide waren stark angetrunken. Vor der Tür hätte Steinacker ihn dann aufgefordert, ihn ein Stück auf der Enscheder Chaussee zu begleiten. Nach einiger Zeit wären sie aber umgekehrt und wären wieder in Richtung Gronau gezogen.
Als sie in die Nähe der Wohnung der Kösters kamen, hätte Steinacker ihn gefragt, ob er wüsste, dass die Kösters heiraten wolle. Er meinte weiter, dass ihm die ganze Sache zum Nachteil geriete und er sich das krumme Luder vom Hals wünschen würde. Unverblümt hätte Steinacker ihm dann 40 Taler geboten, wenn er der Kösters die Kehle zudrücken würde. So viel Unverfrorenheit ließen aber auch einen hartgesottenen Schergen wie Tümmers zunächst zögern. Er meinte, dass eine solche Tat doch ein schlimmes Ding sei und die Kösters zudem nicht allein wohnen würde. Daraufhin hätte Steinacker den Lohn für die Tat auf 50 Taler erhöht. Das reichte dann offenbar, um bei Tümmers die letzten Zweifel auszuräumen.
Ganz allein wollte Tümmers indessen den Mord nicht verüben. Daher hätte Steinacker versprochen, mitzugehen. Sie wären dann zum Haus der Kösters gegangen und Steinacker hätte sich an der Kuhstalltür zu schaffen gemacht. Mit einem Werkzeug wäre es gelungen, die Tür zu öffnen. Von dort wären sie auf die Tenne gelangt, von wo eine Tür in die Küche des Hauses führte. Vor der Küchentür hätte Steinacker gewartet. Tümmers wisse ja, wo das Bett stünde. Er solle nur fest genug zudrücken. Und genau das hätte er auch getan: In der Küche wäre er an das Bett der Kösters getreten und hätte in der Dunkelheit mit der Hand zunächst ihren Kopf gefühlt, dann mit einer Hand ihren Hals ergriffen und schließlich auch mit der anderen. Er hätte wohl zehn Minuten zugedrückt, bis er sich sicher gewesen sei, dass die Frau tot war. Dann hätte er das Haus auf dem gleichen Wege verlassen, wie er es betreten hatte. Steinacker hätte er erst wieder draußen in der Nähe seines Hauses getroffen. Der hätte sogleich gefragt, ob Kösters wirklich tot sei, worauf er antwortete, dass er dies schon glaubte. Steinacker forderte ihn jedoch auf, nochmals nachzusehen, woraufhin Tümmers sich erneut ins Haus der Kösters begeben hätte. Er hätte einen Arm der Frau angehoben, der jedoch völlig schlaff war, so dass er schließlich überzeugt war, dass die Frau wirklich tot war.
„Junge, jetzt hast du das Geld verdient und ich bin der Baas von Allem.“
Danach hätte er erneut Steinacker vor dessen Haus getroffen. Dieser hätte ihn zu sich ins Haus geholt, um alles weitere zu besprechen. Er hätte gesagt: „Junge, jetzt hast du das Geld verdient und ich bin der Baas von Allem.“ Tümmers hätte daraufhin den vereinbarten Lohn gefordert. Steinacker hätte dann aber begonnen, ihn zu vertrösten. Er könne ihn nicht alles auf einmal geben, sondern erst in 14 Tagen. Daraufhin hätte er zumindest einen Teil gefordert. Steinacker wäre dann in die Küche gegangen und hätte ihm eine Anzahlung in Höhe von einem Taler ausgehändigt. Schließlich hätten sie sich gegenseitig die Hand darauf gegeben, dass sie stillschweigen wollten, im Fall, dass sie verhaftet würden.
Schon kurz nach der Tat hätte Tümmers das Gewissen geplagt. In der Gerichtsverhandlung gab er an, dass er den Mord nicht in voller Überlegung verübt hätte, sondern vielmehr wie ein blindes Pferd durch das Zureden und durch die Versprechungen des Steinackers zu dem Verbrechen verleitet worden sei. Dies bestritt Steinacker bei seiner gerichtlichen Vernehmung jedoch vehement. Nach seiner Darstellung wäre die Initiative zu dem Verbrechen von Tümmers ausgegangen. Er hätte ihm zwar die Kuhstalltür am Haus der Kösters geöffnet, hätte aber dann versucht, ihn von der Tat abzuhalten. Auch hätte er dem Tümmers nach der Tat kein Geld gegeben. An dieser Darstellung bestanden jedoch erhebliche Zweifel, weil Steinacker bei einer früheren Vernehmung seine Beteiligung bereits zugegeben hatte. Auch gab es mehrere Zeugenaussagen, die von Steinackers üblen Absichten am Tag vor der Tat berichteten. Die Strategie des Verteidigers, die Beteiligung Steinackers an dem Verbrechen zu widerlegen, fiel so im weiteren Verlauf der Verhandlung mehr und mehr in sich zusammen.
Lebenslang ins Zuchthaus Herford
Das Schwurgericht fällte schließlich sein Urteil. Die Geschworenen folgten der Version Tümmers, dass dieser den Mord begangen und Ludwig Steinacker ihn hierzu verleitet hatte. Das Gericht verurteilte beide zu lebenslanger Zuchthausstrafe wegen Totschlags bzw. wegen Verleitung zum Totschlag. Tümmers bescheinigte das Gericht „das Gewissen eines ziemlich verkommenen Menschen„. Als evangelische Christen traten beide nach ihrer Verurteilung ihre Strafe im Zuchthaus Herford an. Theodor Tümmers starb dort am 29.04.1867 an Altersschwäche und Blutmangel und wurde am 02.05.1867 begraben. Kurz darauf starb auch Ludwig Steinacker in Herford am 28.08.1867 an Tuberkulose und wurde am 31.08.1867 begraben.
© H. Krasenbrink
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Quellen:
Münsterischer Anzeiger (23/04/1857) 92
Westfälischer Merkur (23/04/1857) 92
Kirchenbuch St. Andreas Emsbüren Taufen | D1_005_1
Abbildungen:
Abbildung 1: Gronau 1773, Drilandmuseum Gronau
Abbildung 2: KI-generierte Illustration
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