Woher der kleine Hund kam, wusste niemand so genau. Das war den beiden Rhedenser Blagen aber auch ziemlich egal. Sie hatten jetzt einen neuen Spielkameraden und ihre helle Freude an dem kleinen Fiffi. Er war anhänglich, clever und lernte schnell. Schon nach wenigen Tagen hatten die Jungen dem Hündchen das Apportieren beigebracht, als Johann Bauhaus mit geschulterter Flinte plötzlich hinter ihnen stand. Den beiden Jungen überkam schon ein mulmiges Gefühl, denn sie wussten nur zu gut, mit wem sie es zu tun hatten.

Abbildung 1

Der Jagdaufseher blieb stehen und schaute sich interessiert den Köter an. Dann forderte er die beiden Jungen auf, ein Stöckchen auszuwerfen, weil er sehen wollte, was der Hund schon alles konnte. Die Jungen taten, wie ihnen geboten wurde. Sie ließen ihren kleinen Freund los, der sofort dem Stöckchen hinterher hechelte. Ein Schuss fiel, der Hund überschlug sich und blieb auf der Stelle tot liegen. Ordnung muss sein. Bauhaus ging des Weges und ließ zwei entsetzte und schockierte Kinder zurück.

Von den Pflichten eines Jagdaufsehers

Über 20 Jahre zuvor war Bauhaus mit seiner Familie von Stenern nach Altrhede gezogen. In einem kleinen Heidekotten in den Winkelhauser Bergen betrieb er eine kleine Landwirtschaft. Der Hauptgrund seines Umzuges war das Amt des Jagdaufsehers in Rhede, dass er dort ausübte. Als solcher war er dafür verantwortlich, dass in seinem Revier rund um Rhede alles mit Recht und Ordnung zuging. Damit war er gut beschäftigt, und das hatte zweierlei Gründe.

Zum einen war er verantwortlich für die Unterbindung der Wilderrei. Diese Straftat war zu dieser Zeit weit verbreitet, wurde jedoch von vielen Menschen als Kavaliersdelikt angesehen. Insbesondere in wirtschaftlich knappen Zeiten war kaum jemand der gelegentlichen Bereicherung des Speiseplans mit Wildbret abgeneigt. Zur Eindämmung der Wilderei hatte der Jagdschutzverein im benachbarten Bocholt sogar 60 Mark Belohnung für jeden Wilderer ausgesetzt, der zur Anzeige gebracht wurde.

Zum anderen galt es, vierbeinige Nahrungskonkurrenten in Form von streunenden Hunden und Katzen zu dezimieren. Vor allem auf diese hatte es Bauhaus von Amtes wegen besonders abgesehen. Er hatte also als Jagdaufseher wichtige Aufgaben zu erfüllen, wofür er als Ordnungskraft auch mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet war.

Johann Bauhaus wurde am 27.05.1845 in der Bocholter Feldmark geboren. Am 13.01.1875 heiratete er in der Barloer St. Helena Kirche Maria Katharina Kappenhagen. Die Eheleute hatten zwölf Kinder. Bis 1885 wohnte die Familie in Stenern. Danach zog sie nach Altrhede 19.

Bei der Ausübung seines Amtes schien es ihm allerdings am nötigen Feingefühl im Umgang mit Mensch und Tier zu mangeln. Niemand in und um Rhede konnte sich erklären, was ihn in all den Jahren so verbittert hatte. Vielleicht war es der Umstand, dass sechs seiner 12 Kinder tot zur Welt kamen und zwei weitere das Kindesalter nicht überlebten. Nun lag es in der Natur der Sache, dass Bauhaus als Jagdaufseher nicht nur Freunde hatte. Dass er aber vielen nicht nur ein unangenehmer Zeitgenosse war, sondern als regelrechtes Scheusal galt, lag an seinen rabiaten und rücksichtlosen Methoden.

Manch einer, der ihn des Weges begegnete, zog es vorsichtshalber vor, die Straßenseite zu wechseln, insbesondere wer einen Hund besaß. So wurde etwa einst ein Rhedenser Hundehalter von ihm mit einem Revolver bedroht, obwohl er seinen Hund auf einem öffentlichen Weg und dazu noch an der Leine führte. Berüchtigt war Bauhaus auch dafür, dass es ihm offensichlich ein Vergnügen bereitete, Tiere zu quälen. Einmal hatte er einem angeschossenen Hund, anstatt ihm den den Gnadenschuß zu geben obendrein noch den Schwanz abgeschnitten, um ihn dann wieder laufen zu lassen. Als er schließlich vor den Augen der beiden Schuljungen ohne ersichtlichen Grund deren Hund erschoss, konnten viele Rhedenser nur noch entsetzt und abgeneigt mit dem Kopf schütteln.

Auge um Auge

Hunde und Katzen lebten in Rhede also äußerst gefährlich. So traf es schließlich am Sonntag, den 25.11.1911, den Hund einer der Brüder aus dem Hause Steverding in Altrhede Nr. 17. Bauhaus erschoss ihn auf freiem Feld, obwohl es hierfür offensichtlich keinen Anlass gab. Die Steverdings waren eine typische Stief-Familie ihrer Zeit. Der Vater des Hauses, Bernard Steverding war bereits 1903 verstorben. Seine zweite Frau, die Witwe Carolina Enck, lebte mit ihren 6 gemeinsamen Kindern und den zwei verbliebenen Kindern aus erster Ehe des Vaters auf dem kleinen Kotten an der Krechtinger Straße.

Johann Wilhelm Anton Steverding wurde am 08.06.1887 in Krechting geboren. Seine Eltern waren Johann Bernhard Steverding (28.03.1832 in Vardingholt +29.04.1903 in Altrhede) und Carolina Antonetta Enck (*02.11.1853 in Krommert +09.04.1923 in Rhede)

Johann Steverding war das vierte von sechs Kindern der Eheleute. Aus der ersten Ehe seines Vaters hatte Johann Steverding noch vier Halbgeschwister.

Die Familie Steverding wohnte in Altrhede Nr. 17.  

Der zweitjüngste der fünf Brüder war Johann Wilhelm Anton Steverding. Der 24-jährige Junggeselle ging in Bocholt in einer Fabrik seinem Broterwerb nach. Ob für Johann nach der Tötung des Hundes seines Bruders durch den Jagdaufseher das Maß einfach nur voll war oder ob er zu Kurzschlusshandlungen neigte, ist nicht bekannt. Erwiesen ist hingegen, dass Steverding am Donnerstag, den 29.11.1911 gegen 20 Uhr sich am Rheder Bahnhof auf dem Heimweg von seiner Arbeit von Bocholt kommend befand.

Der neue Bahnhof war erst wenige Jahre zuvor in Rhede südlich der Münsterstraße zwischen dem Dorf und der Bauernschaft Altrhede entstanden. Durch die Inbetriebnahme der Bahnstrecke von Bocholt nach Borken im Jahre 1902 erhielt auch das Dorf zwischen diesen beiden Städten Anschluss an die moderne Infrastruktur. Der Bahnhof ermöglichte es nicht nur jungen Männern wie Johann einer Arbeit im nahegelegenen Bocholt nachzugehen, sonderen führte auch rasch in Rhede selbst zur Ansiedlung einiger Textilfabriken.

Nahe der neuen Textilfabrik Büning bemerkte Johann am besagten Donnerstag den Bauhaus, der dort mit seiner Frau des Weges entlang ging. Mit einer Holzlatte nahm Johann die Verfolgung auf, um dann in der Nähe des jüdischen Friedhofs bei einem Tannenbusches dem Jagdaufseher hinterrücks einen kräften Schlag auf den Schädel zu versetzen. Die Frau des Jagdaufsehers lief im Augenblick der Tat einige Meter voraus, so dass sie von dem Hergang zunächst weder Notiz nahm noch Johann erkannte, der sofort in der Dunkelheit verschwand. Unverkennbar waren jedoch die schweren Verletzungen des Jagdaufsehers, der sofort reglos zusammensank und aus Nase und Mund blutete. Bauhaus wurde ins Rheder St.- Vinzenz-Krankenhaus gebracht, wo er drei Tage später, am 2. Dezember 1911 an den Folgen seiner Verletzungen im Alter von 66 Jahren verstarb.

Mord oder Totschlag?

Die Nachricht verbreitete sich rasch durch das ganze Dorf und darüber hinaus. Die Polizei nahm unverzüglich ihre Ermittlungen auf. Die Meldungen in den Zeitungen überschlugen sich und es geisterten zum Teil wiedersprüchliche Meldungen durch die Gazzetten. So berichteten einige Blätter über einen mutmaßlichen Mittäter und andere spekulierten über verschiedene Tatwaffen.

Schon am nächsten Tag kam es in Rhede zu Verhaftungen mehrerer Tatverdächtigter, die jedoch zunächst ohne Ergebnis blieben, weil die betreffenden Personen Alibis vorweisen konnten. Am 2. Dezember, Bauhaus‘ Todestag Bauhaus, konnte Johann als Täter ermittelt und verhaftet werden. Johann machte aus seiner Absicht keinen Hehl, war voll geständig und gab Rache als Tatmotiv an. Bei der Obduktion des erschlagenen Opfers war er selbst zugegen um den Tathergang vollständig zu rekonstuieren. Anschließend wurde er an das Amtsgericht Bocholt ins Gefängnis überstellt.

Abbildung 2:
1) Kotten Bauhaus, 2) Kotten Steverding 3) Tatort

Sechs Wochen später, am 17.01.1912, kam es vor dem Schwurgericht Münster zum Prozess gegen Johann. Die Anklage des Staatsanwalts Dr. Mathies gegen ihn lautete auf vorsätzliche Körperverletzung mit Todeserfolg. Neben drei ärztlichen Gutachtern waren auch 14 Zeugen geladen. Johann schilderte die Geschehnisse am Abend des 29.11.1911 so, dass ihm erst beim Anblick des Jagdaufsehers die Wut überkam und er sich für den erschossenen Hund seines Bruders rächen wollte. Als Tatwerkzeug diente ihm eine kurze, einem Lineal gleichtende Latte, die er zufällig am Weg fand. Danach begab er sich sofort nach Hause.

Das ärztliche Gutachten ließ indessen keinen Zweifel darüber, dass der Schlag mit der Latte äußerst wirkungsvoll ausgeführt wurde. Der Schädel des Opfers wurde regelrecht in zwei Hälften gespalten und der Tod trat drei Tage später schließlich infolge einer Hirnhautentzündung ein. Zweifel kamen jedoch an dem angeblichen Tatwerkzeug auf, denn in der nähe des Tatortes fand man außer der kleinen Latte auch eine ungleich längere und schwerere, weiß gestrichene Zaunlatte, deren weißer Abdruck sich in Bauhaus‘ Hut abzeichnete. Gab es also noch einen Mittäter?

Das Gericht fällt ein mildes Urteil

Die 14 Zeugen ließen inbesondere Bauhaus in einem schlechten Lichte erscheinen. Sie schilderten dem Gericht die zahlreichen Eskapaden des Jagdaufsehers, seine fragwürdigen Methoden und seine Neigung zur Tierquälerei. Über den Angeklagten wurde hingegen nichts Negatives berichtet, sonderen die Zeugen stellten ihm sogar ein gutes Leumundszeugnis aus. Dies veranlasste die Staatsanwaltschaft schließlich dazu, nur zwei Jahre Gefängnis für die Tat zu fordern. Die Geschworenen entschieden schließlich auf Schuldig und das Gericht verurteilte Johann zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren aufgrund des Rachemotivs.                      

Nach Verbüßung seiner Strafe nahm Johann wie die meisten seiner Altersgenossen als Soldat am 1. Weltkrieg teil. Hier geriet er in französische Kriegsgefangenschaft, was ihn möglicherweise vor Schlimmeren bewahrte. Nach seiner Rückkehr heiratete Johann am 22.01.1921 in der Bocholter Liebfrauenkirche die am 29.11.1882 in Bocholt geborene Kriegerwitwe Johanna Carolina Leyen. Das Ehepaar bezog ihren Wohnsitz in Bocholt, wo er weiterhin als Fabrikarbeiter tätig war.

Wer jetzt glaubte, dass Johann endgültig ein geläutertes kleinbürgerliches Leben führte, der sah sich getäuscht, denn Im Winter 1925/26 geriet er abermals mit einem Jagdaufseher in Konflikt. Der Beamte erwischte ihn nicht nur auf frischer Tat beim Auslegen von Wildschlingen, sonderen er fand in seiner Hose auch noch das Corpus Delicti – ein gefangenes Kaninchen. Alle Versuche, den Jagdaufseher zu täuschen, um so den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, schlugen fehl. Also mußte er sich erneut vor den Münsteraner Schöffen verantworten. Diesmal kam Johann allerdings mit einem Monat Gefängnis davon

Abbildung 3

© H. Krasenbrink

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Quellen:

Münsterischer Anzeiger, 61 (18/01/1912) 40

Münsterische Zeitung, 42 (18/01/1912) 16

Westfälischer Merkur, 91 (18/01/1912) 29

Münsterischer Anzeiger, 60 (04/12/1911) 854

Die Glocke, (05/12/1911) 280

Westfälischer Merkur, 90 (04/12/1911) 612

Minden-Lübecker Kreisblatt, 56 (08/12/1911) 288

Westfälischer Merkur, 105 (10/01/1926) 13

Kirchenbuch St. Gudula, Rhede, KB021/Seite 139

Kirchenbuch St. Gudula, Rhede, KB019/Seite 105

Kirchenbuch Liebfrauen, Bocholt, KB006/Seite 102

Landesarchiv NRW, Abteilung Ostwestfalen-Lippe, P 9 / 4 (Standesämter Kreis Borken), Nr. 501, Seite 273

Abbildungen:

Abbildung 1: KI generierte Illustration

Abbildung 2: Messtischblatt Rhede 1895

Abbildung 3: Westfälischer Merkur, 105 (10/01/1926) 13


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